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Ortsumgehung Hammoor - Wo stehen wir? Wie sollte es weitergehen?

Ein Stellungnahme von dem Rechtsanwalt Herrn Dr. Hellmann-Sieg zur aktuellen Situation der Ortsumgehung Hammoor vom 02.04.15:

 

Sehr geehrter Herr Hinst,

gern kommen wir der Bitte nach, die derzeitige Situation und die weiteren Schritte zu erläutern. Dies freilich unter dem Vorbehalt, dass wir zwar vom Landesbetrieb Straßenbau und

Verkehr, und dort von Frau Lüth dankenswerterweise bereits einige Unterlagen erhalten haben, diese aber bei weitem nicht vollständig sind. Es ist allerdings von Seiten des Landesbetriebes zugesagt worden, die Unterlagen insgesamt im Internet öffentlich zur Verfügung zu stellen.

I. Sachstand

Gegenstand des (gestoppten) Planfeststellungsverfahrens ist die Variante 1.4a, die als Ergebnis der Vorplanungen als sogenannte Vorzugsvariante ins Verfahren gegangen ist. Vereinfacht gesprochen: Diese Variante wurde von Seiten des Landesbetriebes als die Ortsumgehung zur Genehmigung gestellt. Wie nicht zuletzt in der Einwohnerversammlung deutlich geworden ist, führen nicht nur viele Wege nach Rom, sondern auch um Hammoor herum.

Nach Darstellung des Landesbetriebes ist man leider mit einer veralteten Umweltverträglichkeitsstudie ins Verfahren gegangen, da die Datenerhebung aus dem Jahre 2001 stammt. Der Landesbetrieb war sich bewusst, dass im laufenden Verfahren die Datengrundlage zu aktualisieren ist.

Die Hoffnung, dass sich die bisherigen Erkenntnisse schon bestätigen werden, hat allerdings getrogen. Eine vom Landesbetrieb in Auftrag gegebene Plausibilitätsprüfung hat einige Nutzungsänderungen im Gemeindegebiet festgestellt. So hat sich der Anteil der Ackerflächen auf Kosten des Grünlandes vergrößert, bebaute Flächen sind hinzugekommen. Ferner waren neuere Erkenntnisse etwa zu Störwirkungen, die vom Straßenverkehr auf Vögel ausgehen, zu berücksichtigen.

Nach dem Ergebnis der Prüfung

„…ist festzustellen, dass sich sowohl für die abiotischen Schutzgüter Boden, Wasser und Luft als auch für den Schutz der Pflanzen, Menschen-Erholung und Landschaft keine Änderungen in der Rangfolge beim schutzgutspezifischen Variantenvergleich gegenüber der UVS 2004/2007 ergeben. Bei den Schutzgütern Tiere und Mensch - Wohnen ergeben sich Änderungen in der Rangfolge, die insbesondere die Variante 1.1 (Abwertung) und die Variante 2.1 (Aufwertung) betreffen.“

Plausibilitätsprüfung vom 05.06.2013 , Seite 25.

Für alle geprüften Varianten gilt, dass sich artenschutzrechtliche Konflikte vermeiden lassen und zulassungsrelevante Hindernisse nicht zu erwarten sind.

Das Planfeststellungsverfahren ist folglich nicht etwa deshalb gestoppt worden, weil die Trasse der Vorzugvariante 1.4a bislang unerkannt über den Brutplatz einer streng geschützten Vogelart verläuft. Von Seiten des Landesbetriebes ist im Rahmen der Einwohnerversammlung betont worden, dass das Stoppen des Planfeststellungsverfahrens allein einer Gesamtabwägung geschuldet ist. Während die Variante 2.1 (Nordumfahrung) bei den Unweltbelangen bislang nur einen dritten Platz eingenommen hat, teilt sie sich nunmehr mit der Planfeststellungsvariante 1.4a den zweiten Rang. Auf Platz 1 liegt die Variante 1.2, die allerdings unter dem Aspekt verkehrliche Wirksamkeit nur den dritten Platz einnimmt.

II. Bewertung

Im Anschluss an das eingangs Gesagte ist erneut darauf hinzuweisen, dass in Ermangelung einer vollständigen Informationsgrundlage die Entscheidung des Landesbetriebes im Grunde nur zur Kenntnis genommen werden kann. Die Frage, ob die Entscheidung des Landesbetriebes rechtlich geboten oder gar zwingend ist, muss an dieser Stelle offen bleiben. Gleichwohl soll auf folgende Aspekte hingewiesen werden:

1. Bei Straßenbauvorhaben gibt es regelmäßig mehrere Trassenvarianten, die mehr oder weniger gut in der Lage sind, die gewünschte Verkehrsfunktion zu erfüllen. Ebenso regelmäßig unterscheiden sich die Varianten schon hinsichtlich ihrer Länge und des erforderlichen technischen Aufwandes (Brücken, Unterführungen etc.). Zu berücksichtigen sind der Flächenverbrauch, mögliche Lärmbeeinträchtigungen, die bereits angesprochenen Umweltbelange, künftige städtebauliche Entwicklungen und vieles weiteres mehr. Bei der Entscheidung, die letztlich die Planfeststellungsbehörde (hier wiederum der Landesbetrieb) zu treffen hat, muss das Abwägungsgebot beachtet werden. In ständiger Rechtsprechung verlangt das Abwägungsgebot, dass

· eine Abwägung überhaupt stattfindet,

· in die Abwägung an Belangen eingestellt wird, was nach Lage der Dinge in sie eingestellt werden muss und

· weder die Bedeutung der betroffenen öffentlichen und privaten Belange verkannt

noch der Ausgleich zwischen ihnen in einer Weise vorgenommen wird, die zur objektiven die Wichtigkeit einzelner Belange außer Verhältnis steht.

Bereits aus dieser Definition des Abwägungsgebots ergibt sich, dass zwar ein rechtlicher Rahmen vorgegeben ist, nicht jedoch, welchen konkret widerstreitenden Belange im Einzelfall der Vorrang einzuräumen ist. So ist es beispielsweise legitim, wenn einer Trassenvariante der Vorzug eingeräumt wird, die zwar länger und teurer ist, aber weiter von den Siedlungsbereichen entfernt verläuft.

Kurzum: Gerade bei Straßenbauvorhaben ist eine Vielzahl von Belangen zu berücksichtigen, denen von Seiten der Planfeststellungsbehörde durchaus in einem gewissen Rahmen höheres oder geringeres Gewicht beigemessen werden kann.

2. Unter dem Stichwort Abwägungsgebot ist auch die Entscheidung des Landesbetriebes zu betrachten.

Die anlässlich der Einwohnerversammlung vorgestellte tabellarische Übersicht, welche Variante zu welchem Aspekt welchen Platz belegt hat, kann nur zur Veranschaulichung dienen. Die zugrundeliegende Plausibilitätsprüfung aus 2013 stellte wiederum nur das Ergebnis einer Bewertung dar. Das sei hier etwas näher erläutert: In der tabellarische Übersicht wird den Varianten 1.4a und 2.1 im Bereich Umwelt einheitlich der zweite Platz zugewiesen. Schon in der Plausibilitätsprüfung (dort Seite 25/26) liest sich dies deutlich differenzierter:

„… Alle Varianten außer der Variante 1.2 sind daher als ähnlich einzustufen, sodass sich eine weitere Differenzierung der Rangfolge nicht aufdrängt, obwohl die Variante 2.1 deutlich mehr Konfliktschwerpunkte als die Varianten 1.1, 1.4 und 1.4a aufweist (4 Konfliktschwerpunkte gegenüber einem Konfliktschwerpunkt). Für die Varianten 1.1, 1.4, 1.4a und 2.1 wird daher zusammen der zweite Rang vergeben, wobei innerhalb des Ranges Vorteile für die Variante 1.4 gegenüber der Variante 1.1 und der Variante 1.4a bestehen. Die Variante 2.1 hat aufgrund der deutlich höheren Anzahl der Konfliktschwerpunkte die größten Nachteile innerhalb des Ranges.“

In Anbetracht dessen ist es eine Frage der Beliebigkeit, ob der Variante 2.1 die rote Laterne innerhalb des gleichen Ranges gegeben wird oder sie sogleich den dritten Rang erhält.

Wenn allerdings - wonach es den Anschein hat - dieser feinsinnigen Unterscheidung das Abbrechen des Planfeststellungsverfahrens zu verdanken ist, muss dies zumindest nachdenklich stimmen.

III. Ausblick

Da offenkundig an der Notwendigkeit einer Ortsumfahrung festgehalten wird, sollte es das Ziel sein, zügig zu einer belastbaren Neubewertung der Trassenvarianten zu gelangen. Von ganz erheblicher Bedeutung ist in diesem Zusammenhang die Frage, für welche Trasse die erforderlichen Flächen aller Voraussicht nach zur Verfügung stehen (werden). Es bedarf wohl keiner näheren Darlegung, dass der zwangsweise Entzug von Eigentum im Wege der Enteignung nach Möglichkeit zu vermeiden ist. Dies gilt insbesondere dann, wenn landwirtschaftlich genutzte Flächen so zerschnitten werden, dass der landwirtschaftliche Betrieb in seiner Existenz gefährdet ist. In der Einwohnerversammlung ist deutlich geworden, dass dieser Aspekt bislang nicht näher betrachtet worden ist.

Nach diesseitiger Auffassung erscheint es nicht als ausgeschlossen, das Verfahren mit einer neuen Vorzugstrasse im nächsten Jahr neu zu beginnen. Auch bei einer ergebnisoffenen Herangehensweise fängt man schließlich nicht bei „Null“ an. Allemal sollte es möglich sein, die im Rahmen der Veranstaltung veranschlagten sieben Jahre nicht auszuschöpfen. Dies allemal deshalb, weil die bestehenden verkehrlichen Zustände kaum weiter zumutbar sind.

Konstruktive Unterstützung, gern auch im Zusammenwirken mit einem neutralen Sachverständigenbüro haben wir zugesagt.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Hellmann-Sieg